Der Römische Messritus

■ Manchmal wird man durch eine Frage auf ein bestimmtes theologisches Thema gelenkt, mit dem man sich zuvor zwar schon oft genug beschäftigt hat. Aber durch das betreffende Spezifikum dieser Frage wird einem beinahe plötzlich der größere Zusammenhang bewusst, in welchem dieser thematische Bereich steht.
So wurde auch ich vor kurzem gefragt, was man denn von der These eines Priesters (der Piusbruderschaft) halten solle, der behauptete, ein Papst habe grundsätzlich das Recht, einen neuen Messritus einzuführen. Gemeint war offensichtlich nicht, etwa einen protestantisch „vergifteten“ und somit häretische Aussagen beinhaltenden Ritus einzuführen. Nein, die Idee war anscheinend, dass man etwa in Dokumenten des christlichen Altertums suchen und dort einen zweifelsohne rechtgläubigen Ritus finden möge, um mit ihm nun bei der täglichen Messfeier unseren überlieferten Römischen Messritus zu ersetzen, weil jeder andere angeblich noch deutlicher und strahlender die katholische Messopferlehre zum Ausdruck bringe würde. Dabei solle es auch kein Problem darstellen, dass oder wenn dieser neue „alte“ Ritus in der Kirche bisher nie praktische liturgische Verwendung gefunden hat.
Oder man nehme einfachheitshalber den uns so teuren Römischen Messritus und „reichere“ ihn mit einigen weiteren Gebeten und Zeremonien „an“, um nämlich noch deutlicher und unmissverständlicher die Lehre der Kirche vom Opfercharakter der hl. Messe und von der Realpräsens Jesus Christi im Altarsakrament zu unterstreichen. Warum denn nicht? Habe ja ein rechtmäßiger Papst diese Vollmacht. Was ist davon zu halten?
Nun, wie ist denn der Römische Messritus historisch entstanden? (So praktisch auch sämtliche andere östlich-orientalische Messriten, die von der katholischen Kirche in ihrer Apostolizität anerkannt werden.) Jesus hat ja am historischen Gründonnerstag mit Seiner uns bekannten liturgischen Feier sowohl die hl. Messe als auch das Altarssakrament eingesetzt. Bei diesem sogenannten Letzten Abendmahl hat Er das Wesentliche vollzogen (Konsekration und Kommunion) und den Aposteln den Befehl gegeben: „Tut dies zu meinem Andenken“ (Lk 22,19), wodurch Er sie auch mit der Priester- und Bischofswürde ausgestattet hatte.
Während der 40 Tage zwischen Seiner Auferstehung und Himmelfahrt hat Er weitere Gespräche mit Seinen Aposteln geführt. So lesen wir, was Jesus z.B. mit den Emmaus-Jüngern besprach: „Und Er begann mit Moses und allen anderen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften sich auf Ihn bezieht“ (Lk 24,27). Und in Seiner Abschiedsrede kurz vor Seiner Himmelfahrt heißt es: „Hierauf erschloss Er ihnen den Sinn für das Verständnis der Schriften“ (Lk 24,45).
Der hl. Apostel Johannes stellt dann zusammenfassend fest: „Noch viele andere Wunderzeichen hat Jesus vor den Augen Seiner Jünger gewirkt, die nicht in diesem Buch aufgezeichnet sind. Diese aber sind aufgezeichnet, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr im Glauben Leben habt in Seinem Namen.“ (Joh 20,30f.)
Dabei wird hier im Neuen Testament nicht ausführlich über den genaueren Inhalt der betreffenden Gespräche und Erläuterungen Jesu berichtet. Also haben die Apostel mehr erfahren, als sie dann in den Evangelien und Apostolischen Briefen sozusagen zu Papier gebracht hatten. Dies betrifft dann sicher auch den Bereich der hl. Messe, die den Aposteln ja zum treuen Befolgen anvertraut worden ist.
Auf dem von Jesus erhaltenen Wissensstand aufbauend, haben sie die liturgische Feier in der christlichen Urgemeinde gestaltet und den betreffenden Ritus mit der Zeit mit weiteren Handlungen, Zeremonien und Gebeten anreichern lassen – alles in Entsprechung zu den von Jesus gelehrten Grundsätzen. Diese haben sie wie selbstverständlich auch ihren Nachfolgern überliefert – viel mehr mündlich als schriftlich.
Im Römischen Brevier lesen wir an Festen mancher Päpste, dass einer von ihnen diese Gebetsformulierung und ein anderer jene Handbewegung hinzugefügt habe. So ist der Ritus über die ersten christlichen Jahrhunderte hindurch langsam gewachsen und hat sich immer mehr zu dem entwickelt, wie wir ihn heute kennen.
■ Warum dürften wir aber heute nicht dasselbe tun? Vielleicht waren ja die Modernisten sogar voll dazu berechtigt, als sie nämlich ebenfalls zunächst den bestehenden Messritus „angereichert“ und dann auch vollends mit einer „neuen Messe“ (dem „Novus Ordo Missae“) ersetzt haben.
Nun, da gibt es wenigstens einen wichtigen Unterschied zwischen der Zeit damals und heute. In den ersten christlichen Jahrhunderten erfuhr die Christenheit eine Phase des treuen Bekenntnisses zum überlieferten Glaubensgut und des zahlreichen Martyriums aus Treue zu Christus und zum Glauben! Die einen mussten den hohen Preis der Verbannung und Verleumdung zahlen, die anderen sogar ihre Gesundheit und ihr Leben dafür einsetzen. Man war in der Kirche ganzheitlich vom Geist des unbedingten Festhaltens an den Grundfesten des Glaubens und der Kirche erfüllt und sagte z.B. gerade der Irrlehre bzw. der Häresie und Apostasie einen harten und konsequenten Kampf an.
Der im 16. Jahrhundert aufgekommene protestantische Geist bzw. die viele Grundwerte relativierende liberalistisch-modernistische Mentalität der Neuzeit waren der alten Kirche dagegen völlig fremd! Der Gedanke etwa, sich „wertvolle Inspirationen“ von Häretikern, Schismatikern geschweige denn von der völlig gottlosen Welt zu holen, was ja seit dem Vatikanum II. geradezu zum guten Ton in der „Konzilskirche“ gehört, war für sie sogar der Inbegriff des Glaubensabfalls. Somit war bei ihnen wirklich der Heilige Geist am Wirken und keinesfalls der Zeitgeist des 20./ 21. Jahrhunderts!
Unsere Liturgiegeschichte kennt das „Sacramentarium Gregorianum“, welches bis auf Papst Gregor den Großen (590-604) zurückgeht und eine Sammlung liturgischer Gebete darstellt. Darin ist auch der Kanon der Römischen Liturgie von der Praefatio cottidiana (heute communis genannt) bis zum Agnus Dei enthalten. Vergleicht man diesen Text mit dem Text des Kanons, wie wir ihn heute im überlieferten Missale Romanum beten, stellt man weitestgehende Übereinstimmung fest! (Gamber Klaus, Sacramentarium Gregorianum II. Pustet 1967, S. 41-44.)
Lediglich fehlt in dieser alten Schrift die Erwähnung des jeweiligen Bischofs und der Gläubigen im Te igitur, die demzufolge etwas später eingefügt wurden. Zudem wird an zwei Stellen der Kanon-Gebete die betreffende Formulierung leicht verändert, wobei der Sinn der Aussage aber derselbe bleibt. Das heißt, dass dieser Ritus schon Ausgang des 6. und Anfang des 7. Jahrhunderts in seinem Kern so bestand und in Rom zelebriert wurde, wie er in der Kirche dann bis auf uns überliefert wurde. Wobei es überhaupt nicht heißt, dass erst Gregor der Große diesen Ritus sozusagen aufgestellt hatte – wie sonst üblich hat sich dieser Ritus in der Zeit zuvor nach und nach herauskristallisiert und war womöglich schon einige Jahrzehnte bis Jahrhunderte früher in Rom in dieser Form im Gebrauch. Es ist halt nur dieses schriftliche Dokument als das älteste erhalten geblieben.
Bekannt ist, dass im Bereich des Römischen Ritus einzelne kirchliche Provinzen und monastische Orden auch eigene Ritus-Varianten hatten, wobei sich diese meistens eng an den Römischen Messritus anlehnten und nur einige wenige Sonderzeremonien aufwiesen.
Zur gleichen Zeit sah sich die Kirche auch mit einer ganzen Reihe von liturgischen Auswüchsen konfrontiert. Dies hat dann den hl. Papst Pius V. (1566-1572) sehr wohl aus guten Gründen dazu veranlasst, dem ganzen endlich einmal Einhalt zu gebieten. Diese Auswüchse hatten nichts etwa mit einer modernistischen Gesinnung zu tun, sondern stellten in der Regel maßlose Übertreibungen dar.
So wurden z.B. in einer Gegend im Confiteor der hl. Messe jeweils bis zu 54 Heilige genannt. Wir bekennen heute unsere Schuld neben Gott auch der hl. Jungfrau Maria, dem hl. Erzengel Michael (und in ihm der ganzen Welt der Engel), dem hl. Johannes dem Täufer (als dem Repräsentanten der Väter und Propheten des Alten Bundes), den Aposteln Petrus und Paulus (die hier für alle Apostel stehen) und dem jeweils zelebrierenden Priester bzw. bitten diese dann um ihre Fürbitte für uns „bei Gott, unserem Herrn“. Wenn aber statt dieser sechs Namen ganze 54 Namen genannt und dann auch noch dreimal wiederholten werden sollten (2x2 beim Confiteor), findet die Zelebration kein gesundes Voranschreiten und die Messe nie ein Ende.
Somit hat Pius V. den Römischen Ritus von allen solchen im Lauf der Jahrhunderte entstandenen ungesunden Zusätzen und Auswüchsen bereinigt und ihn dann so, wie er zu seiner Zeit in der Stadt und Diözese Rom offensichtlich gültig und im Gebrauch war, kodifiziert und für den gesamten Römischen Ritus-Bereich vorgeschrieben. Dieser Ritus darf nun weder jemals essentiell verändert werden noch darf einem Priester von wem auch immer jemals untersagt werden, nach ihm das hl. Messopfer zu feiern!
Gerade auf dem historischen Hintergrund der protestantischen „Reformation“, welche ja in Theologie, Moral und Liturgie viel Essentielles einem grundsätzlichen Zweifel unterzogen und sich auch das Recht zugeschrieben hat, auch auf dem liturgischen Gebiet „wilde“ „Reformen“ durchzuführen, sah sich der Papst sogar verpflichtet (in Treue zum Konzil von Trient [1545-1563]), da einen entsprechenden Riegel vorzuschieben und somit in Bezug auf den Messritus ein Ende jeglicher liturgischer „Experimente“ zu erklären.
■ Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht mehr etwa neue Feste und somit auch entsprechende neue Messformulare eingeführt oder gelegentlich sog. Rubriken-Reformen durchgeführt werden dürften. Denn in der Kirche sind auch nach Pius V. und dem 16. Jahrhundert neben neuen Festen z.B. auch einige neue Präfationen eingeführt worden. Das alles ist im Prinzip unproblematisch, weil es eine natürliche Entwicklung darstellt und damit eben nicht in den essentiellen Bereich der Messliturgie eingegriffen wird.
Somit vereint der so entstandene Römische Messritus in sich sowohl den Glauben der Kirche generell als auch ihre lebendige Glaubenserfahrung in liturgischer Praxis speziell. Dieser ganz konkrete Messritus stellt gewissermaßen die Reflexion der kirchlichen Lehre und das Spiegelbild ihres liturgischen Glaubenslebens dar – in Entsprechung zum Grundsatz: „Lex orandi - lex credendi“ – „Wie man betet, so glaubt man auch“.
Wie viele Märtyrer haben sich doch gerade auch in diesem Messritus an der erlösenden Quelle der göttlichen Gnade und des ewigen Heils genährt! Wie viele Kinder der Kirche haben durch die Teilnahme an diesen liturgischen Mysterien die Festigkeit im Glauben (nach innen) und den Mut in seinem Bekenntnis nach außen erfahren! Wie viele Generationen der Gläubigen sind durch die konkrete Erfahrung mit diesem Messritus gegangen – das ist ein konkreter Teil der Kirchengeschichte!
Wenn wir jetzt, mal angenommen den Fall, hingehen und sagen sollten, wir ersetzten diesen Ritus mit einem anderen und vermeintlich noch besseren Ritus, würden wir einen Bruch im Hinblick auf unsere eigene konkrete Geschichte und eigene geistige Identität begehen. Denn der Römische Messritus macht ja gerade einen sehr großen Teil dessen aus, was man als römisch-katholischer Christ ist und wie man den Glauben lebt.
Denn er ist keine Ansammlung von irgendwelchen Rubriken und formalistischen Verordnungen, sondern die Festlegung dessen, was kirchliches Leben ist und wie sich der Glaube praktisch auf die einzelnen Glieder der Kirche auswirkt. Denn diese ganzen äußeren Riten, in die lebendige Praxis der Messzelebration umgesetzt, stellen gewissermaßen das perpetuum mobile der Erlösung dar – die ständige mystische Gegenwärtig-Setzung und Erneuerung des Werkes der Erlösung Jesu Christi in der jeweiligen Zeit und im Raum!
Dieser Ritus ist wie die zwei steinernen Tafeln, auf welchen Gott auf dem Berg Sinai mit Seinem Finger die Zehn Gebote eingebrannt hatte (vgl. Ex 19,16-20,21). Obwohl das nur steinerne Tafeln waren, werden sie aber im Fall, dass der Mensch die betreffenden Gebote Gottes bewusst befolgt, gewissermaßen zum Leben erweckt und vermitteln so eine lebendige Gemeinschaft mit dem ewigen und heiligen Gott!
So wird auch das überlieferte Missale Romanum für die Gläubigen (des Römischen Ritus) zu einer analogerweise zum Leben erweckten und sehr wohl konkreten Quelle des Heils, zur vital erlebten Geschichte mit dem Göttlichen Erlöser Jesus Christus, der ja das Ewige Leben schlechthin ist!
Man kann das auch mit dem menschlichen Bereich vergleichen. Schauen wir mal auf etwas ältere Eheleute, die ja in ihrem Leben zusammen durch Dick und Dünn gegangen sind. Freude und Schmerz, Sorge und Jubel und auch viele andere Arten von Prüfungen und Siegen werden zusammen erlebt und geteilt. Und dann wird man gemeinsam älter. Dies lässt sich ja sowohl nach außen sichtbar erkennen (so z.B. die veränderte Figur, Glatze, Bauch usw.) als auch äußert es sich in der teilweisen Abnahme der generellen Leistungs-, Gedächtnis- und Regenerationsfähigkeit.
Aber man soll ja in Würde altern. Man stelle sich nun aber vor, der eine Ehegatte würde zum anderen sagen: Du, Schatz, du gefällst mir nicht mehr so, wie du nun aussiehst - bitte unterziehe dich unbedingt einer entsprechenden plastischen Operation - und nur dann bleibe ich weiter bei dir, denn ich will wieder eine viel jünger aussehende Version von dir haben. Oder lass durch eine etwaige Genbehandlung deine geistige Leistungsfähigkeit deutlich steigern und wieder auf das Niveau eines 20-jährigen Menschen bringen.
Wäre das nicht absurd und würde dies nicht einer Verachtung jenes Menschen gleichkommen, der bis dahin Jahrzehnte lang zu einem hielt und einen oft auch in schwierigen Situationen opferbereit unterstützte? Denn echte Liebe und wahre Treue bedeuten, dass man auch beim Alterungsprozess und dem damit verbundenen Anwachsen von Erfahrung in Würde und tiefer Achtung zueinandersteht und die entsprechenden edlen Gefühle zueinander sogar weiter zunehmen!
So strahlt auch der Römische Messritus große Würde aus! Er ist nicht irgendwie theoretisch am grünen Tisch entstanden (wie eigentlich die „neue Messe“ Pauls VI.), sondern über Jahrhunderte hindurch in einer ganz konkreten historischen Situation und Entwicklung gewachsen – in unbedingter Treue zu den von Jesus den Aposteln und der Kirche mit auf den Weg gegebenen Grundlagen und Prinzipien.
Unser Leben setzt sich ja aus zahlreichen Begegnungen mit konkreten Einzelmenschen zusammen. Ebenso steht am Altar immer ein jeweils konkreter Priester – sowohl predigt er dann mit einer ihm eigenen Stimme das Evangelium als auch vollbringt er die liturgischen Zeremonien in Entsprechung zu seinem spezifischen Körperbau usw. Im Kirchenraum neben uns knien dann auch ganz konkrete und hinreichend bekannte Menschen.
Wie also die Kirche generell nicht ein theoretisch-abstraktes Gebilde darstellt, sondern für uns – obwohl sie an sich auch übernatürlich ist – auch ganz konkret in Erscheinung tritt, so hat sich auch in der Liturgie die konkrete Lebensgeschichte der Kirche mit Gott niedergeschlagen bzw. das konkrete Wirken des Heiligen Geistes in Kooperation mit der Willensfreiheit einzelner Menschen und den betreffenden Entscheidungen verschiedener menschlicher Gruppen artikuliert!
Da ist uns in diesem Römischen Ritus ein solcher Kristall der Übernatürlichkeit geschenkt worden, welcher in sich geheimnisvoll sowohl das unerschaffene Licht der Gnade Gottes als auch die beseligende konkrete Lebenserfahrung der ganzen Kirche mit ihrem Göttlichen Hohepriester vereint! Gerade auch dieser sich im Lauf der Zeit ganz konkret herauskristallisierte Messritus reflektiert überdeutlich, wie die Kirche die ganze Zeit geatmet, wie sie ihre Gemeinschaft mit Gott gelebt, wie sie in ihrer Sehnsucht nach dem ewigen Heil gebetet und Ihm in liebender Hingabe ihr Herz geschenkt hat! Einen solchen Schatz des Göttlichen kann man nicht genug wertschätzen.
■ Daher sollte man auf keinen Fall substanzielle Änderungen in den bestehenden Ritus einfügen. Selbstverständlich bleibt einem rechtgläubigen und rechtmäßigen Papst das Recht belassen, gewisse Änderungen vorzunehmen, die nicht das Wesen der Liturgie, den Grundablauf und speziell den Kanon der hl. Messe betreffen, sondern etwa nur etwas anders das Feiern bestimmter einzelner Feste regulieren, wie dies z.B. Papst Pius XII. in Bezug auf die Karwoche getan hat. Ob ihm das gut oder weniger gut gelungen sei, ist eine andere Frage. Aber grundsätzlich wäre dies möglich.
Ebenso würde wohl niemand ernsthaft dagegen aufbegehren, wenn ein echter katholischer Papst auch z.B. eine neue Präfation für die Märtyrer einführen würde. Messen für sie, diese Blutzeugen Christi, gibt es viele im Kirchenkalender. Zwar kennt das Missale auch einige gemeinsame Messformulare für die Märtyrer, aber eben noch keine eigene Präfation.
Aber der hier anfangs erwähnte Vorschlag, einen alten nur in irgendwelchen Schriften anzutreffenden und sich somit nie im konkreten Gebrauch befundenen Ritus zu aktivieren, um ihn dann wegen seiner angeblich höheren Frömmigkeit anstelle des Römischen Messritus zu verwenden, würde eigentlich einen Bruch mit dem Verständnis der Kirche von der Tradition als der geheiligten Überlieferung unter dem Einwirken des Heiligen Geistes darstellen. Denn man würde da aus ihrem Leib etwas Natürliches und Lebendiges gewaltsam herausreißen und ihm praktisch ein aus totem Kunststoff bestehendes Neugebilde „einpflanzen“ wollen.
Der von mir früher in einer halbkonservativen Zeitschrift gelesene Vorschlag, den Römischen Messritus nach 15-19 Jahrhunderten plötzlich mit einer Reihe von neuen Gebeten und Zeremonien „anzureichern“, würde ebenfalls eindeutig zu weit gehen. Denn damit würde der geheiligte Ritus zu sehr dem Befinden von Menschen überlassen werden, die somit über ihn gewissermaßen zu Gericht sitzen dürften. Auf geistiger Ebene würde das bedeuten, als wollte man den Heiligen Geist kritisch auf Seine vermeintlichen Unzulänglichkeiten im Einwirken auf die Kirche aufmerksam machen.
Neben dem Römischen Messritus kennt die Kirche noch eine ganze Reihe anderer Messriten, die alle ebenfalls apostolischen Ursprungs sind, das heißt auf einen der Apostel zurückgehen. Diese sind ja bei der Erfüllung ihrer Missionsaufgabe in verschiedene Ecken des damaligen Römischen Reiches gegangen und haben eben diese Riten entsprechend geprägt – oft auch die Mentalität und Kultur der betreffenden Völker berücksichtigend. So sind z.B. die Römer der Antike ihrem Naturell nach eher kurz und bündig gewesen. Bezeichnenderweise ist auch der Römische Messritus von seiner Länge und Dauer eher kürzer als viele andere apostolische Messriten, die bei verschiedenen Ostkirchen und orientalischen kirchlichen Gemeinschaften im liturgischen Gebrauch sind, ob diese nun an sich mit Rom uniert oder sozusagen orthodox sind. Ein Orientale ist in der Regel etwas emotionaler, was sich dann auch in deren Liturgien entsprechend niedergeschlagen hat.
Was dabei aber höchst interessant ist, ist die Tatsache, dass alle diese Riten strukturelle wie inhaltliche Analogien aufweisen, obwohl man bisweilen seit frühesten christlichen Jahrhunderten kaum Kontakt miteinander hatte und sich somit auch nicht untereinander absprechen konnte. Und obwohl sie sich in vielen Fällen praktisch unabhängig voneinander entwickelt haben und verschiedene liturgische Sprachen aufweisen, stellen sie alle ihrem eigenen Verständnis nach unmissverständlich eine unblutig-mystische Opferhandlung des Neuen und Ewigen Bundes dar, in welcher geistig-geheimnisvoll das erlösende Opfer Jesu Christi am Kreuz gegenwärtig gesetzt und dann in den konsekrierten Gaben von Brot und Wein der wahre Leib und das kostbare Blut unseres Erlösers empfangen wird!
Schätzen wir also unseren lieben und teuren Römischen Messritus und vereinigen uns mit Christus bei Seiner liebenden Hingabe zu unserem Heil. Denn wenn wir sowohl lebensmäßig als auch beim Vollzug des liturgischen Opfers mit Ihm der Sünde mitsterben, werden wir, obwohl an sich unwürdig, von Ihm auch der Gnade der geistigen Auferstehung zum neuen und ewigen Leben gewürdigt!
Bedenken wir auch, mit wie vielen Generationen von katholischen Christen und Heiligen uns dieser Römische Messritus verbindet. Er stellt somit ebenfalls ein nicht unbedeutendes Element der von uns im Credo so feierlich bekennenden „Gemeinschaft der Heiligen“ dar, die ja nicht erst in der Ewigkeit des Himmels konstituiert wird, sondern bereits hier auf Erden sowohl ihren Anfang nimmt – durch Glauben und Taufe – als auch im Empfang der heiligen lebenspendenden Sakramente und der lebendigen Mitfeier des hl. Messopfers ihre gnadenhafte Fortsetzung und ihr heilsames Wachstum findet!

P. Eugen Rissling

 

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